- Trivial- und Unterhaltungsliteratur: Träume für die vielen
- Trivial- und Unterhaltungsliteratur: Träume für die vielenDie Geschichte der Trivial- und Unterhaltungsliteratur beginnt im 18. Jahrhundert, obwohl es populäre - und das heißt auch triviale - Lesestoffe in Form von Einblattdrucken, Kalendern, Bänkelsänger-Heften, »Volksbüchlein«, die von den wenigen Lesekundigen unter den »kleinen Leuten« wohl meist stockend gelesen und vorgelesen wurden, schon früher gab. Aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog sich eine völlige Umwälzung des Leseverhaltens und des literarischen Lebens. Das Lesevermögen des Publikums nahm zu, die Leselust wuchs, die Buchproduktion stieg an, Leihbüchereien sorgten für eine zusätzliche Verbreitung von Lesestoffen. Das wiederholte, intensive Lesen beziehungsweise Vorlesen ein und desselben Textes - der Bibel, des Katechismus, des Gebet- oder Gesangbuchs -, das dem Lernen und der Erbauung diente, wich einem extensiven Lesen, das Abwechslung bot und Unterhaltungsbedürfnisse befriedigte.Die Entstehung des literarischen Marktes ist die eigentliche Geburtsstunde der Trivial- und Unterhaltungsliteratur. Ihre literarischen Strategien und Techniken, mit denen sie sich an den Geschmack eines breiten Publikums anpasste und seine Bedürfnisse zu befriedigen suchte, sind bis heute im Wesentlichen die gleichen geblieben. Heute bedienen sich die Produzenten der massenhaft verbreiteten, arbeitsteilig erstellten Heftromanliteratur sogar wissenschaftlicher Methoden der empirischen Sozialforschung, um sich sprachlich und inhaltlich möglichst effektiv auf die Verständnisfähigkeit beziehungsweise Aufnahmebereitschaft ihrer Leser einzustellen. Inzwischen verwendet man den Begriff »Trivialliteratur« vornehmlich für diese standardisierten, austauschbaren, konventionelle Vorstellungen verbreitenden Texte, während der Begriff »Unterhaltungsliteratur« einer ästhetisch differenzierteren, gleichwohl auf Anpassung bedachten Literatur gilt, die ehemals das »gutbürgerliche« Publikum ansprach und auch heute für ein ästhetisch sensibleres Publikum geschrieben wird.Auch die Genres der Trivial- und Unterhaltungsliteratur, die sich am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausbildeten, haben sich bis in die Gegenwart hinein wenig verändert. Einige von ihnen, zumal im Bereich des Romans, sind zwar verkümmert und vergessen, wie zum Beispiel Geheimbund- und Räuberromane, andere, wie die Sciencefiction, sind später hinzugekommen. Aber die großen Genres des Familien- und Liebesromans, des Schauerromans, des Kriminalromans, des Reise- und Abenteuerromans, des historischen und zeitgeschichtlichen Romans leben in wenig veränderter Form in der massenhaft verbreiteten Literatur bis heute fort, nur dass ihre Produzenten heute statt vom Liebesroman vom Schicksals-, Frauen- oder Heimatroman, statt vom Schauerroman vom Horror- oder Gespensterroman sprechen oder dass die Reise- und Abenteuerromane heute thematisch gern zu Wildwestromanen und die historischen und zeitgeschichtlichen Romane zu Kriegsromanen verengt werden. Vergleichbares gilt für das triviale Drama. Die Bühnenschwänke des 19. Jahrhunderts beispielsweise finden ihre Nachfolge in den Boulevardstücken und Fernsehschwänken unserer Tage.Die Produktion trivialer Dramen überstieg im 18. Jahrhundert zunächst die der trivialen Prosaliteratur. Schauspiele konnte man genießen, auch ohne lesen zu können, und die im Theater vermittelten Gefühlserlebnise wirkten überdies unmittelbarer als das gedruckte Wort. Die wichtigsten Ausprägungen des trivialen Dramas seit dem 18. Jahrhundert waren das bürgerliche Rührstück - etwa von August von Kotzebue oder August Wilhelm Iffland -, dessen Themen denen des Familien- und Liebesromans vergleichbar sind. Weiterhin existierten die verschiedenen Formen des »bürgerlichen Lachtheaters«, insbesondere die Lokalposse und der Schwank. Gerade der Schwank, dessen produktivste Phase in Deutschland zunächst zwischen 1880 und 1930 lag, hat in den letzten Jahrzehnten, nicht zuletzt durch das Fernsehen, wieder erstaunlich an Popularität gewonnen. Die großen Vorbilder dieser Gattung sind die Franzosen Eugène Labiche und Georges Feydeau. Sie haben das in Deutschland so beliebte Autorengespann Franz Arnold und Ernst Bach ebenso beeinflusst wie den in den Siebziger- und Achtzigerjahren erfolgreichsten Autor von Bühnenschwänken Curth Flatow. In den Schwänken werden stets die sexuellen Interessengegensätze der Geschlechter durchgespielt. Immer wieder versucht der Ehemann einen Seitensprung, um sich vom Einerlei des Alltags zu befreien, und immer wieder scheitert er dabei. Der Ausbrecher ist am Ende wieder der Domestizierte, und der Zuschauer lacht schadenfroh über die peinlichen Verstrickungen und Missgeschicke dessen, der aus der Reihe getanzt ist.Die wichtigsten Genres der unterhaltenden trivialen Prosaliteratur sind fantastische Literatur, Kriminalroman, Familien- und Liebesromane sowie historische und zeitgeschichtliche Romane. Familien- und Liebeskonflikte und ihre Lösungen befriedigten seit dem 18. Jahrhundert vor allem das Bedürfnis nach Innerlichkeit und nach Rührung. Die Familie war seit dem 18. Jahrhundert für die Erwerbstätigen ein Refugium, in dem sie die gesellschaftlichen Zwänge vergessen konnten und Gefühle äußern durften. Die in der Literatur dargestellten Störungen des harmonischen Zusammenlebens sorgten für die nötigen Spannungen und »verbotenen« Reize, und die Auflösung aller Verwicklungen in Harmonie bot die Gelegenheit, Ehe und Familie als Institutionen, in denen sich Vertrauen und Zuneigung entfalten konnten, zu überhöhen. Die wichtigsten Themen der Familien- und Liebesromane - verfolgte Unschuld, Überwindung von Standesgrenzen, Entsagung - wurden im 19. Jahrhundert ständig wiederholt und variiert. Besonders erfolgreich war Eugenie Marlitt, die Verfasserin zahlreicher Fortsetzungsromane, die in der auflagenstarken Familienzeitschrift »Die Gartenlaube« erschienen. Zu ihren bekanntesten Werke gehören »Goldelse« (1867) und »Das Geheimnis der alten Mamsell« (1868).Im 20. Jahrhundert hat insbesondere Hedwig Courths-Mahler mit vielen Romanen wie zum Beispiel »Dein ist mein Herz« (1920) der Standardisierung bestimmter Motive Vorschub geleistet. Fast immer geht es bei ihr um den sozialen Aufstieg der Heldin, die durch Geduld, Opferbereitschaft und häusliche Tugenden an ihr Ziel gelangt: an den adligen oder großbürgerlichen Ehegatten. Genau diese Motive werden heute in der massenhaft verbreiteten Heftromanliteratur nachgeahmt. Bezeichnenderweise hat der Bastei-Verlag in den letzten Jahren zahlreiche Romane der Courths-Mahler in bearbeiteter Form wieder abgedruckt. Die Tagträume, die den mehrheitlich weiblichen Lesern durch die Lektüre der Liebesromane, ob sie nun Schicksals-, Fürsten-, Arzt- oder Heimatromane heißen, erfüllt werden, umkreisen meist einen Partner, der Schutz und Geborgenheit gewährt. Gleichgültig, ob er in sexueller Hinsicht zurückhaltend ist und sich bis zur Ehe diszipliniert oder ob er, wie neuerdings in den aus dem Amerikanischen übersetzten »Taschenromanen« für junge Frauen, Hingabe fordert - der von der Heldin des Frauenromans ersehnte Mann ist immer einer, der die Rolle des Beschützers erfüllen kann, der demzufolge ein möglichst hohes Sozialprestige und finanzielle Sicherheit garantiert und zugleich eine Vertrauen erweckende Selbstsicherheit und Güte ausstrahlt. Was die Heldin erlebt, ist für die Leserin Anlass, wenigstens in der Fantasie in den Zustand der Infantilität zurückzufallen. So bewegen auch in den Achtziger- und Neunzigerjahren zum Teil auch verfilmte Romane, etwa von Utta Danella Rosamunde Pilcher oder Danielle Steel ein Millionenpublikum.Die auf väterlichen Eigenschaften beruhende Autorität des Mannes wird nicht nur in den Liebesromanen bewundert. Auch die Helden der abenteuerlichen Trivial- und Unterhaltungsliteratur strahlen Kraft und Überlegenheit aus. Ihr letztlich stets erfolgreiches Handeln sowie ihre - im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer häufiger vorzufindende - Einbindung in gesellschaftlich anerkannte Institutionen (Polizei oder Militär) lassen den unkritischen Leser vermutlich meist nicht wahrnehmen, wie sehr ihr Verhalten von Strafaktionen geprägt ist, mit denen sie den als moralisch minderwertig dargestellten Gegner überwältigen. Dass diese gewalttätigen Strafaktionen von Vorbild- beziehungsweise Vaterfiguren ausgehen und dabei auch frühkindliche Erinnerungen wachrufen, dürfte für die Wirkung dieser Literatur von erheblicher Relevanz sein - wie überhaupt die vielfältigen Formen der Bestrafung, die in der Trivial- und Unterhaltungsliteratur vorgeführt werden, darauf hinweisen, wie stark triviale Texte aller Genres an der Disziplinierung der Gesellschaft beteiligt sind.Besonders auffällig bilden sich hierarchische gesellschaftliche Strukturen in trivialen Kriegsromanen ab. Sie gehören zu der großen Gruppe der historischen und zeitgeschichtlichen Romane, die schon immer große oder zumindest erfolgreiche, »bewundernswerte« Persönlichkeiten in den Mittelpunkt gerückt haben. In der seit 1957 in der Bundesrepublik Deutschland erscheinenden, sehr erfolgreichen Heftromanserie »Der Landser«, die militärische Ereignisse des Zweiten Weltkriegs darstellt, sind die Identifikationsfiguren keineswegs die einfachen Soldaten, sondern Unteroffiziere und Offiziere, denen die Qualität von Vorbildern zugesprochen wird. Das gesamte Militär erscheint als eine Ansammlung patriarchalisch organisierter Familienverbände; propagierte Tugenden der wie Unmündige behandelten einfachen Soldaten sind entsprechend Gehorsam, Opferbereitschaft, Kameradschaft. Die Romane heroisieren einzelne Personen und verklären den Krieg zum Abenteuer; sie verschaffen überdies ihren Lesern die Befriedigung, sich in Sicherheit zu wissen. Große Ähnlichkeiten mit den Heftromanserien haben die Romane des Bestsellerautors Heinz G. Konsalik, der in die Kriegsererzählungen zahlreiche Liebesgeschichten einbindet.Wünsche nach Sicherheit und Geborgenheit erfüllt auf ganz andere Weise auch die triviale Lyrik, von der hier nur der Schlager als einflussreichstes Genre herausgehoben sei. Aus Marktliedern, Gassenhauern, Operettenliedern, Couplets hervorgegangen, werden Schlager seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend arbeitsteilig und industriell verfertigt. Sie sind um der Breitenwirksamkeit willen aus musikalischen Klischees und einfachstem Wortmaterial zusammengesetzt, die nur diffuse Bedürfnisse ansprechen und keinerlei Reflexion verlangen. Sie kreisen zumeist um Liebessehnsucht, Trennungsschmerz, Wanderschaft und Heimatgefühl. Am häufigsten wird die Liebe thematisiert oder der Ort der Lebensfülle wie etwa die immer wieder beschworene Südseeinsel. Indem Schlager von Glückserfüllung sprechen, helfen sie ihren Rezipienten, in der Realität erfahrene Versagungen und Geborgenheitsverluste zu kompensieren. Allerdings kann die Trost spendende Funktion des Schlagers auch anderen kollektiven Bedürfnissen entgegenkommen: Zum Beispiel nahmen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gesungene Schlager wie »Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. .. « oder »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn. .. « die allgemeine Friedenssehnsucht auf. Ihnen wurde auf diese Weise vom Publikum ein politischer Sinn unterlegt, der von den Textproduzenten wahrscheinlich gar nicht intendiert war.Sucht man die wichtigsten Bedürfnisse der Konsumenten von Trivial- und Unterhaltungsliteratur und deren gängigste Strategien und Techniken zu benennen, lässt sich erkennen, dass diese Literatur immer wieder auf Bedürfnisse des Lesers nach Orientierung, nach Bestätigung eigener Werturteile und nach der Auslösung von Affekten antwortet. Dem Bedürfnis nach möglichst schneller Orientierung entspricht unter anderem die klare Anordnung von Figuren nach dem Gut-Böse-Schema, unterstützt von einer eindeutigen Typisierung der Figuren. Triviale Literatur verzichtet auf die Begründung historischer, politischer, sozioökonomischer oder aber auch psychologischer Zusammenhänge und verkürzt die Realität auf grobe Raster sinnlicher Wahrnehmbarkeit, auf leicht überschaubare Aktionsfelder einzelner, als Träger stereotyper Freund- und Feindbilder sich liebender oder bekämpfender Figuren. Für die Wirksamkeit der Texte ist dabei von Bedeutung, dass die von den Identifikationsfiguren vertretenen Werturteile und Verhaltensweisen diejenigen möglichst vieler Leser bestätigen, denn die Konsumierbarkeit eines Produkts wird durch dessen Nähe zu eingespielten Gewohnheiten wesentlich erleichtert. Für die affektive Befriedigung des Lesers sorgt ein wohlkalkuliertes Wechselspiel von spannungsaufbauenden und -lösenden Momenten. Die Darstellungen von Gefangenschaft und Befreiung, Sehnsucht und Begegnung, Trennung und Vereinigung halten den Leser in einer fortwährenden emotionalen Bewegung, wobei die leicht durchschaubare Struktur der Texte und ihre eingängige Sprache sein inneres »Mitgehen« erleichtern.Prof. Dr. Peter NusserAmerikanische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hubert Zapf. Stuttgart u. a. 1997.Englische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hans Ulrich Seeber. Stuttgart u. a. 21993.
Universal-Lexikon. 2012.